Der Club

Ein Club, der keine Randale will, sich aber bei den braven Bürgern nicht anbiedert: „Leute, die kein Verständnis für uns haben, können uns gestohlen bleiben!“
Als Mitte der siebziger Jahre die Hamburger Band „Wolfsmond“ ihre erste LP auf dem Plattenmarkt vorstellte, fanden einige motorradbegeisterte junge Leute im hessischen Herborn, der Name dieser Musikgruppe sei genau der richtige für einen Rockerclub. So kam es, dass sich im August 1977 acht Biker zusammenschlossen und seitdem das Rückenabzeichen mit dem heulenden Wolfskopf, vor allem in der Gegend um Gießen, gar häufig gesichtet wird.
Der damalige Clubgründer ist heute nicht mehr mit dabei. Er lebt in Berlin und wurde für seine Verdienste zum Ehrenmitglied ernannt. Nach einem halben Jahr wählte man einen neuen „Presi“, über dessen Amtsführung allgemeine Zufriedenheit herrscht: Fäßchen, neunundzwanzigjähriger Fernfahrer.“ Die Clubsatzung, in der die wichtigsten Regeln schriftlich festgehalten wurden, übernahmen sie von den „Centurions“ aus Frankfurt: ein Club mit Angehörigen der amerikanischen Army, der heute nicht mehr besteht. Deren Club trug auch bei seiner Tätigkeit als Manager der Airbase unangefochten seine Kutte mit dem Clubabzeichen. Fäßchen, der als Fernfahrer häufig mit ihnen zu tun hatte, fand das imponierend und hielt sich gern bei den Motorradfreunden aus den USA auf.
Fünf lange Jahre währte die vergebliche Suche nach einem Dach über dem Kopf. Ein Hoffnungsschimmer kam erst auf, als „J. R.“, Bahnhofswirt von Herborn und Betreiber einer Discothek, bei Wolfsmond Mitglied wurde. Der versprach großspurig, er wolle in einer Woche schaffen, was die Gruppe in jahrelangen Bemühungen nicht zustande brachte. Klar, dass er zunächst außer Gelächter und höhnischen Blicken bei seinen Rockerkollegen wenig Erfolg erntete. Das änderte sich allerdings schnell, als sich sein ganz alltäglicher Versuch, über eine entsprechende Zeitungsanzeige weiterzukommen, als wirkungsvoll herausstellte. Im Januar dieses Jahres konnte die Wolfsmond-Mannschaft eine große, leerstehende Lagerhalle übernehmen. Die war zwar in einem miserablen Zustand, hatte aber den gewaltigen Vorteil, dass sie weit außerhalb der Stadt lag. Zwei Monate lang schuftete der ganze Club, um aus der heruntergekommenen Halle einen akzeptablen Treffpunkt zu zaubern. Nach dem Einbau einer Trennwand konnte Mitte März der größte Teil des Gebäudes mit einer zünftigen Einweihungsparty in Gebrauch genommen werden. Hinter der Trennwand soll noch lange weitergebastelt werden; in erster Linie möchte man eine gut ausgerüstete Motorradwerkstatt einrichten.
Für zukünftige Feiern ist also das Dach über dem Kopf erst mal gesichert. Die Wolfsmond Rocker schätzen ohnehin Geselligkeit in überschaubarem Kreis. Zu ihrem alljährlichen, großen Treffen „Moonshine-Party“ werden nur noch zehn bis fünfzehn befreundete Clubs eingeladen, von denen man aus Erfahrung weiß, dass man sich auf sie verlassen kann. Wir stehen eher auf persönlichen Kontakt und echte Gespräche. Auf den großen Mammuttreffen geht das kaum noch.
Die Schwierigkeiten, die es leider immer wieder auf den Treffen der Rocker gibt, die immer wieder beobachtbare Gewalttätigkeit überhaupt, sind ein Thema, mit dem sich auch Wolfsmond ausgiebig beschäftigt. „In der deutschen „Biker-Scene“ herrscht nicht mehr die Einigkeit, die man sich wün­schen würde und die es früher doch gab. Wir sind ein Club, der keine Randale will; wir wollen auch nicht um jeden Preis groß werden. Der Begriff Rocker kommt aus den Staaten - da geht es doch schließlich ums Motorradfahren und nicht darum, eine Armee zu gründen. Wir kommen zu Rallys grundsätzlich ohne Waffen. Wir meinen, wenn es schon zu Auseinandersetzungen kommt, dann muss man sich auf seine Fäuste verlassen können.
Es ist doch Wahnsinn, wenn das Ganze immer weiter eskaliert: mit Messern fängt es an, dann kommt einer mit ’ner Knarre und schließlich schleppen sie vielleicht noch Panzerfäuste an.“
Mit der Bevölkerung hat die Gruppe kaum Probleme; wenn die ganze Truppe, vielleicht noch ergänzt durch Gäste aus befreundeten Clubs, im großen Pulk durch die engen Gassen der Stadt donnert, rasseln zwar keine Gitter vor den Schaufensterscheiben herunter, so mancher Mund bleibt aber trotz jahrelanger Erfahrung noch ungläubig offen stehen. „Leute, die kein Verständnis für uns haben, können uns ohnehin gestohlen bleiben“. „Wir haben hier mal für ein Kinderheim gespendet, heute denkt keiner mehr daran. Sowas wird immer schnell vergessen, weil es nicht zu dem Bild passt, das sich die Öffentlichkeit von den Rockern gemacht hat.“
Zu den weitläufigen freundschaftlichen Beziehungen, die Wolfsmond zu anderen Gruppen unterhält, hat übrigens auch EASY RIDER seinen Teil beigetragen. Auf eine Anzeige, in der ein Club aus Polen Kontakt zu deutschen Motorradfahren suchte, schrieben auch die Herborner. Daraus hat sich mittler­weile ein reger Briefverkehr entwickelt, der nicht mit dem Austausch von Patches einhergeht. Auch Besuche hat es schon gegeben. Auf diesem Weg erfahren wir endlich einmal, dass es auch in Polen Bikerclubs gibt, die mit Kutten und schweren Maschinen herumfahren und ähnlich misstrauisch beobachtet werden. Wie es Rocker hierzulande gewohnt sind. Die Biker hier und dort verstehen sich prächtig vielleicht können sich die Politiker bei ihren Verhandlungen davon mal eine Scheibe abscheiden.